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Lesestoff: Die Startup-Lüge von Jochen Kalka

10.06.2019 - 

Start-ups verheißen Innovationen, Ideen, Veränderungen und eine bessere Zukunft. Sie gelten als Alternative zu trägen Konzernen, als coole Arbeitsgeber und locken mit Erfolgsstorys, dem schnellen Gewinn in Millionenhöhe, wie es seinerzeit Apple, Airbnb oder Google vorgemacht haben. Start-ups sind der neue Motor unserer Wirtschaft, so die gängige Berichterstattung.

Jochen Kalka (Bild: Thomas Dashuber)
Jochen Kalka (Bild: Thomas Dashuber)

Jochen Kalkas Buch „Die StartUp-Lüge“ räumt mit dem Märchen vom „Start-up als Wirtschaftswunder-Allheilmittel“ auf und reizt zur Auseinandersetzung. So prangert der Autor unfaire Löhne, ausbeuterische Arbeitszeiten oder fehlende Geschlechtergleichheit in Start-ups an und zeigt „wie die Existenzgründungseuphorie missbraucht wird – und wer davon profitiert“.

Start-ups erinnern an des Kaisers neue Kleider

Dr. Jochen Kalka *1964, Germanist und Politikwissenschaftler, ist seit 2006 Chefredakteur aller Titel der Werben & Verkaufen GmbH in München und untersucht in seinem Buch den Medienhype um Start-ups sowie die Folgen dieser Modeerscheinung. Gut recherchiert, mit vielen Fakten und persönlichen Beobachtungen belegt, zeigt Jochen Kalka, dass nicht alles glänzt was Start-up genannt wird.

So kritisiert er den Silicon-Valley Tourismus deutscher Manager als reine Selbstvermarktung. Die Sprache, das „Startupsich“ ist für ihn „eine linguistische Bla-Bla-Blase“. Er missbilligt die unüberlegte Übernahme der sogenannten Start-up-Kultur, etwa die erzwungene Einführung des Duzens über alle Hierarchieebenen hinweg.

Was den kritischen Journalisten sehr irritiert, ist die Erfahrung, dass ein gewisser Look, coole Räume und der Gebrauch vieler hipper Wörter oft ausreichen, um sich Start-up zu nennen und tatsächlich Erfolg zu haben. Kalka berichtet von einem alt eingesessenen Forschungsinstitut, das in einen finanziellen Engpass geriet. Allein die Umfirmierung in Survey-Startup hat die Finanzpartner von der Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells überzeugt. Dasselbe hat auch ein Getränkeunternehmen erlebt, das Blockchain auf seine Fahnen geschrieben hat und damit seinen Marktwert massiv erhöhen konnte.

Dagegen stehen die Arbeitsbedingungen von „echten“ Start-ups. Häufig werden Mitarbeiter brutal ausgebeutet. Feste Arbeitsverträge gibt es nicht. Frauenfeindlichkeit, Planungsunsicherheit gehören zum Normalzustand. Nicht selten werden sowohl Mitarbeiter als auch Investoren von den Gründern bewusst getäuscht, was schließlich dazu führt, dass neun von zehn Start-ups scheitern.

Das scheint viele Förderer und Geldinstitute allerdings nicht weiter zu stören. Paradoxerweise scheinen diese, sobald Start-up auf der Verpackung steht, alles positiv zu bewerten, so Kalka. Selbst große Unternehmen entkommen dem Start-up-Fieber nicht. Sie fahren in Gruppen zu Innovationsfahrten nach Silicon Valley oder Austin, zur SXSW. Hier schauen sie sich ab, wie ihre Mitarbeiter zu agieren haben, um möglichst flexibel und innovativ schnelle Gewinne zu erzielen. Der Chefredakteur stellt hierbei so manche Erfahrungen und Learnings dieser Bildungsreisen in Frage.

Und doch ist nicht alles Lüge

Trotz des provokativen Buchtitels „Die Startup-Lüge“ stellt Jochen Kalka allerdings auch fest: „Start-ups sind der Motor der Wirtschaft, Treibkraft der gesamten Gesellschaft. Sie sind das Morgen, die Zukunft, die Lösung.“

Denn Start-ups können neue Impulse setzen und mit neuen Methoden und neuer Denkweise auch klassische Unternehmen wie auch die ganze Wirtschaft beeinflussen. Wer alte Systeme disruptiv verändert, kann sogar die Welt verändern.

Was der Autor anprangert sind der Umgang, die Erwartungshaltungen und die Veränderungen, die eine Verherrlichung der Start-up-Gesellschaft mit sich bringen. Er fürchtet, dass dieser Hype europäische Errungenschaften, mit sozialen Grundsätzen wie langfristigen Verträgen, Gleichberechtigung und Arbeitszeitenreglung, aushöhlen. Nicht alles was aus dem Silicon Valley kommt, sollte eins zu eins in Europa übernommen werden.  Flache Hierarchien, aufgelockerte Kleiderordnung oder Methoden wie Design Thinking bergen selbstverständlich viele Vorteile. Jedoch können diese nicht einfach „verordnet“ werden.

Sein Appell: „Wer mit Herz gründet, dem ist es am Ende völlig egal, ob es ein Startup ist oder ein primitives Knopfgeschäft.“ – betont dann auch Jochen Kalka in einem im Februar 2019 veröffentlichen Essay.

Fazit: Interessant und trotzdem unterhaltsam

Das recht unterhaltsam geschriebene Buch sticht mit Insider-Wissen, Statistiken, Beispielen und vielen Fragen aus der Masse der üblichen Wirtschaftsbücher heraus. Auf 223 Seiten zeigt Jochen Kalka seine private und oft auch bewusst überzogene Sicht der Dinge.

Zugutekommen dem Autor, laut eigener Angabe, seine langjährige Erfahrung in der Berichterstattung über Start-ups:

„Was ich mit Start-ups zu tun habe? Ich schreibe oft darüber in Fachzeitschriften. Ich bin in diversen Jurys, in denen Start-ups um Gelder pitchen. Und ich selbst habe auch mal ein Start-up gegründet. Nur wusste ich nicht, dass es ein Start-up ist.“ So schreibt er nicht nur seit Jahren über Start-ups, sondern besuchte und recherchierte über zahlreiche Start-ups in Japan, Israel und im Silicon Valley.

Das Buch eignet sich ebenso für Gründer und Start-up-Interessierte wie auch für Unternehmer und Investoren


Buchinfos:

Die StartUp-Lüge
Wie die Existenzgründungseuphorie missbraucht wird – und wer davon profitiert
von Jochen Kalka
Econ Verlag (1. Auflage, Februar 2019)
18 Euro (D)
ISBN 978-3-430-21002-7

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